Freundschaften wollen gepflegt sein wie ein Töpfchen Basilikum. Zu wenig Aufmerksamkeit ist ebenso Gift für das zarte Pflänzchen wie zu viel. Darüber konnte sich meine Freundin Antje in letzter Zeit tatsächlich nicht beschweren. Ich hatte anderes im Sinn, den Frühling. Zum Ausgleich ihres Darbens schlug ich ihr eine Kneipentour vor. Nur wir zwei. So wie früher. Kreuzkölln mit seinen aus jeder Mauerritze sprießenden Kneipen erschien mir das geeignetes Pflaster.
Während die Abendsonne hinter den alten Dächern versank, starteten wir mit einem Bier in der Reuterstraße, gemächlich wollten wir uns die Weserstraße vorantrinken. Ich hoffte inständig, dass es nicht zu Problem-Puzzeleien kommen würde und plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen. Uns wurde kühl auf den Second-Hand-Stühlen draußen auf dem Gehsteig - wir zogen eine Kneipe weiter. Im Silverfuture sollte unsere Tour dann aber bereits enden. Nicht, weil wir uns doch noch stritten. Nicht, weil einer von uns übel wurde. Nein, ein Bär mit liebreizendem Püppchengesicht war es, der uns zum Bleiben bewegte.
Die aufgeregte Stimmung in der johannisbeerfarbenen Bar war vielversprechend. Richard wollte Berlin verlassen, ihn zog es nach Brüssel, ein Job bei der EU. Ich kannte zwar keinen Richard, brauchte aber nur für zwei Astra anzustehen, um dies zu erfahren. Während ich wartete, blickte ich auf ein Audrey-Hepburn-Plakat. Ein schwarzer Schnurrbart schwang sich über ihre Oberlippe. Eine etwa zwei Meter große Frau mit brünetter Mähne und schwarzem Abendkleid drängte sich an mir vorbei. An der Theke saßen junge Männer mit Dreitagebart und weiblichen Gesichtszügen. Freundin Antje mutmaßte, dass wir auf einem Trans-Inter-Queer-Abend gelandet seien.
Die Musik verstummte, das Licht ging aus. Auf einem kleinen Fernsehapparat wurde ein Film gestartet. "Tschü-hüss, Richard" riefen sie in die Kamera, "komm bald wieder". Meine Freundin blickte mich verzückt an. Danach sang einer der Dreitagebärtler auf der kleinen Bühne "für Rischard" einen französischen Pop-Song. Isch war 'ingerissen. Immer mehr Menschen drängten sich in die kleine Bar. Ein neues Kaltgetränk zu besorgen, verlangte mittlerweile einiges an Geduld. Auf der Bühne wurde eine Nummer nach der anderen dargeboten. Zwei Leute mit bunten Perücken sangen statt "Leaving On A Jetplane" den abgeänderten Text: "Rischard, don't go to Brüssel". Ein so herrlich lakonisches Understatement hatte ich bisher noch nie gesehen. Ich wünschte mir, die beiden wären für Deutschland zum Grand Prix angetreten.
Die Tunte von der Theke trällerte dem Scheidenden schließlich auch ein Liedchen. Dass die CD mit dem Playback immer wieder sprang und von Anfang startete, überspielte die Zwei-Meter-Frau kein bisschen. Tapfer begann auch sie immer wieder von vorne, bis ihr Auftritt in einem Lachanfall endete. Freundin Antje schien ihre Verstimmung mittlerweile völlig vergessen zu haben und ich dankte der Trans-Szene dafür mit eifrigem Applaus. Noch während ich mir die Handflächen dunkelrosa klatschte, kam der Bär.
Er sah aus wie Balu aus dem Dschungelbuch - nur in Lebensgröße. Zwei puschige Öhrchen standen vom Kopfe ab, sein dicker Bauch schwang jeder Bewegungen gemütlich hinterher und an seinem fülligen Po wedelte ein kleines Schwänzchen. Das braune zottige Ganzkörper-Kostüm sparte nur das Gesicht aus. "Viola!" rief es aus dem Publikum - und nun erkannte auch ich die Züge der Theken-Tunte, ihre langen falschen Wimpern, das kokette Rouge auf ihren Wangen.
Musik im Achtziger-Jahre-Billig-Sound donnerte los. "Was hat sie, was ich nicht habe? Was hat sie? Was hat sie? Was hat sie?" sang der Bär mit der Stimme von Katja Ebstein und seine Lippen glänzten dunkelrot. Zu dem Takt der hysterischen Eifersuchtshymne beschwerte sich das Berliner Maskottchen, dass Richard Brüssel den Vorzug geben mochte. Elegant schwang er seine pelzigen Arme, stemmte entrüstet die Pfoten in die Hüften und zog die Schultern kokett zum Kinn. Die Weiblichkeit seiner Gesten standen derart im Widerspruch zu der Schwerfälligkeit des Bärenkostüms, dass Audrey Hepburn vor Neid der Schnauzer hätte abfallen müssen.
Als Freundin Antje und ich dann spät in der Nacht das Silverfuture verließen, waren wir nicht nur erfüllt von der Wirkung des Weingeistes, sondern auch ergriffen von der Mühe, die sich eine Bar voller Menschen für ihren Freund gemacht hatte. Unsere Zwistigkeiten kamen uns plötzlich läppisch vor. Richard in Brüssel, wir danken dir.